Bauklötze: große und kleine, schmale und breite, hohe und flache. Aus Kindertagen sind sie uns allen gut bekannt. Und was konnte man nicht alles mit ihnen bauen?! Häuser, Garagen, Burgen, Türme, Tore – immer ließen sich dieselben Steine zu ganz neuen Ergebnissen zusammensetzen. In der Produktionstechnik wird dieses Bausteinprinzip Modularisierung genannt. Dabei geht es darum, durch „Bausteine“, die möglichst unabhängig von Kundenanforderungen sind, eine höhere Wiederholungsrate zu erzielen, mehr Variationen zu ermöglichen (Anpassungsfähigkeit), die stückkostengünstige Fertigung der Einzelteile zu gewährleisten und Entwicklungskosten einzusparen.
Vorreiter Automobilbau
Vorreiter dieser Modularisierung ist bekanntlich die Automobilindustrie. Hier bauen auf einer gemeinsamen technischen Basis (Fahrwerk und Antrieb) äußerlich verschiedene Modelle auf. Das vielleicht bekannteste Beispiel: Volkswagen. Hier werden gleich mehrere Modelle der Konzernmarken VW, Audi, Škoda und Seat auf einer gemeinsamen Plattform – der des VW Golf – gebaut (Plattform-Strategie). Durchgängig geht es hier um große Stückzahlen.
Was sich im Automobilbau schon lange bewährt, wird dort, wo es um kundenspezifische Lösungen geht, häufig als nicht realisierbar angesehen. Der Grund: die geringen Losgrößen – bis hin zur Losgröße 1. Allerdings sorgt schon der allgemeine Kostendruck dafür, dass eine stückkostengünstige Fertigung auch bei der Losgröße 1 unabdingbar ist. Und die gute Nachricht in diesem Zusammenhang: Auch bei einer Stückzahl 1, auch bei Engineer-to-Order-Aufträgen, bei denen also die einzelnen Teile je nach Kundenbestellung eigens konstruiert und gefertigt werden, ist eine Modularisierung möglich.
Vom Umgang mit Schnittstellen
Lösungen, die exakt auf individuelle Kundenanforderungen zugeschnitten sind, sind bei geringen Losgrößen mit dem Baukasten-System natürlich schwieriger zu realisieren. Der Grund sind vor allem die Schnittstellen. Es gehört zu den grundsätzlichen Anforderungen an modulare Baukasten-Systeme, dass die Schnittstellen von Kundenanforderungen unabhängig sein sollen. Das lässt sich bei großen Stückzahlen natürlich leichter einhalten, weil hier ex ante die Anforderungen einer großen Zahl von Abnehmern in die Definition der Schnittstellen einfließen. Im umgekehrten Extremfall – der Stückzahl 1 – sind in der Regel eine oder vielleicht auch mehrere Schnittstellen nicht bekannt. Wo diese Schnittstellen liegen, hängt von den Grundanforderungen ab. Für beispielsweise ein Pumpenaggregat sind sie wahrscheinlich ganz anders, als für ein Turbinen- oder ein Kälteaggregat. Hier sind die Kenntnisse des Ingenieurs bezüglich des Produktionsprozesses gefordert.
Hindernisse und wie man sie umgeht
In einem konkreten Fall bestand die entscheidende Aufgabe darin, die Treiber der Komplexität zu erkennen und deren Ursachen kritisch zu durchleuchten. Die Historie („Das haben wir immer schon so gemacht.“) und persönliche Verbindungen sind dabei nicht selten hinderlich. Letztere verhindern aus falsch verstandener Rücksichtnahme erforderliche unbequeme Fragen. Und überhaupt, wer sieht schon gerne seine eigenen Errungenschaften in Frage gestellt? Um diesem Dilemma zu entkommen, hilft es, eine neutrale Person (nicht aus dem unmittelbaren Umfeld) als Moderator einzusetzen. Darüber hinaus sollten die Ingenieure an die Linie gebracht werden, um ihnen die Problematik zu verdeutlichen. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl kann es dann gelingen, komplexitätsfördernde Freiheitsgrade infrage zu stellen und letztlich auf das gebotene Maß zu reduzieren.
Für den Erfolg ist es entscheidend, sich von den historischen Schnittstellen zu lösen. Üblicherweise werden Produkte in einzelne Funktionen zerlegt und diese entsprechend standardisiert. Dieses Verfahren stößt aber relativ schnell an seine Grenzen, da schon simple Randbedingungen – wie etwa der Raumbedarf – buchstäblich zum Engpass werden können. Der Grund: Schnittstellen werden teilweise zu eng gefasst.
Der Motorraum heutiger Fahrzeuge lässt die Grenzen dieses Verfahrens erahnen. Geht man einen Schritt weiter – wie von VW praktiziert – und betrachtet ganze Funktionsblöcke und befreit sich dabei von rein prozessorientierten Schnittstellen, so eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. VW hat hier die Schnittstelle „Vorderachse bis Oberfläche Gaspedal“ gewählt. In diesem Abschnitt ergeben sich die meisten Prozessketten des Fahrzeugs. Sie zu modularisieren und zu standardisieren ermöglicht eine neue Welt der Plattformstrategie.
Diese Erfahrungen lassen sich auch auf den Maschinen- und Anlagenbau übertragen. Die erweiterte Sichtweise und gleichzeitig bewusst reduzierte Freiheitsgrade ermöglichen es, diese Form der Modularisierung auch auf Produkte mit geringer Stückzahl anzuwenden.
Modularisierung – auch bei Stückzahl 1 – lässt sich erreichen, wenn die Module
- zum einen sowohl funktional als auch physisch von den anderen Komponenten trennbar sind,
- zum anderen durch vereinheitlichte Schnittstellen (Reduzierung verschiedener Schnittstellenvarianten) einfach miteinander zu verbinden sind und schließlich
- die Möglichkeiten bieten, soweit erforderlich künstliche Schnittstellen zu schaffen.
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