Das Management von Veränderungen gehört seit langem zum Tagesgeschäft in den Unternehmen. Eine Abfrage der Wortverbindung „Change Management“ bei Google liefert innerhalb von 0,41 Sekunden rund 7,7 Millionen Treffer. Eine Büchersuche bei amazon.de nach Publikation zum Thema „Change Management“ ergibt 4.200 Ergebnisse. Man kann also feststellen: Das Thema hat nicht nur Konjunktur, es dürfte auch kaum etwas geben, was hierzu noch nicht gesagt oder geschrieben wurde.
Meine Alma Mater, die RWTH Aachen, hat mich vor ein paar Monaten gebeten, im Rahmen eines Kolloqiums die Sicht aus der Praxis zum Thema Change-Management vorzutragen. Einleitend habe ich dabei auf zwei wesentliche, allgemeine Kriterien für gelungenes Change-Management hingewiesen: Transparenz und Kommunikation.
Was die Transparenz angeht, so bedarf es zur Erläuterung eines Blickes auf die prekäre Nähe von Veränderungsmanagement und Manipulation. Die Definitionen verdeutlichen dies:
- „Unter Veränderungsmanagement (engl. Change Management)“, so Wikipedia, „lassen sich alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung – zur Umsetzung neuer Strategien, Systeme, Prozesse oder Verhaltensweisen – in einer Organisation bewirken sollen.“
- „Manipulation (…) bedeutet die gezielte und verdeckte Einflussnahme, also sämtliche Prozesse, welche auf eine Steuerung des Erlebens und Verhaltens von Ein-zelnen und Gruppen zielen und diesen verborgen bleiben sollen.“ (Wikipedia)
Jeder Mitarbeiter wird sich zu Recht gegen jede Art der Manipulation wenden. Für die gewünschte Verhaltensänderung ist daher Transparenz der Schlüsselfaktor. Nur sie vermag die nachhaltige Veränderung herbeizuführen.
Das zweite Kriterium, die Kommunikation, ergibt sich aus dem bekannten Diktum von Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Alles ist Kommunikation – auch wer schweigt kommuniziert. Die Verantwortlichen in den Unternehmen sind daher gut beraten, die Kommunikation ganz oben auf die Agenda von Veränderungsprojekten zu setzen.
Nach diesen Vorbemerkungen habe ich anhand des folgenden Fallbeispiels einige „Dos and Don’ts“ des Veränderungsmanagements beleuchtet.
Fallbeispiel: Ausgangslage
Anfang 2000 ging es um ein Veränderungsprojekt in einem Maschinenbau-Unternehmen. Vorrangig beteiligt: 150 Ingenieure für Forschung und Entwicklung in Deutschland, Frankreich und den USA. In allen drei Ländern gab es zunächst ein unterschiedliches Verständnis zu diversen Themen, so etwa zum Stellenwert Projekt- vs. operative Arbeit, zu den Prozessen, zur Organisation und Durchführung des Projekts. Wie so oft war auch in diesem Fall der Produkt-Lebenszyklus nicht etabliert. Auf Grund der divergierenden Sichtweisen wurde umso intensiver kommuniziert in zahlreichen Meetings. Trotz häufiger Kommunikation wurden bestimmte Informationen, wie etwa die Veränderung der Prioritäten, nicht kommuniziert. Erste Produktneuheiten erforderten zahlreiche Korrekturen und Anpassungen an Kundenwünsche. Die Folge: Komplexes Management wegen diverser Varianten und Wartungen für Produkte. Und schließlich: Keines der (Teil-)Projekte war im Zeitplan; vielmehr überschritten sie die geplante Dauer durchschnittlich um das Zweieinhalbfache.
Fallbeispiel: Kommunikation
Bei der Analyse der Ursachen für diese missliche Lage stießen die Verantwortlichen auf eine – vorsichtig gesagt – suboptimale Kommunikation. Ob nun Marketing und Vertrieb einerseits (Interesse an neuen Produkten), Produktion andererseits (höhere Ausbringung bestehender Produkte zwecks Economies of Scale) oder die Technik in der Mitte – jeder hat mit jedem gesprochen. Und dass in allen drei beteiligten Ländern. Dabei wurden aber bestimmte Bereiche des Unternehmens außen vor gelassen, wie beispielsweise das Controlling. Das Problem wurde zudem durch unterschiedliche rechtliche Anforderungen und gewerbliche Schutzrechte (Patente, Marken, Designs etc) verwickelter. Taucht aus dieser Ecke unverrichteter Dinge etwas auf, muss unter Umständen der gesamte Produktzyklus neu aufgesetzt werden.
Das erste, was in einer Projektkommunikation zu tun ist, ist durch Fragen die tatsächlichen Restriktionen und Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen zu erforschen. Dies klingt einfach, ist aber gelegentlich sehr schwierig zu erkennen, da sehr viel Historie und persönliche Ressentiments in den einzelnen Abteilungen unausgesprochen vorhanden sind. Jede unvorsichtige Aussage zu Beginn eines Change-Prozesses wird direkt an diesen internen Maßstäben gemessen. Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist enorm hoch.
Es ist unerlässlich, die Kommunikation am Empfänger auszurichten und dabei die in dem Vier-Ohren-Modell (Kommunikationsquadrat) von Friedemann Schulz von Thun beschriebenen vier Seiten einer Nachricht zu berücksichtigen: Sachebene/Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehungsaspekt und Appell (nähere Einzelheiten siehe hier).
Auch wenn es vielleicht etwas kleinteilig anmutet, so ist das erfolgreiche Wording durchaus kulturabhängig. Ein Beispiel: In diesem konkreten Fall waren die amerikanischen Mitarbeiter sehr offen für eine Checkliste, lehnten aber jede Art eines Formblatts als extrem administrativ ab. Den deutschen Kollegen erschien eine Checkliste als eines von vielen Tools, so dass sie sich nicht gebunden sahen, sie zu verwenden. Um ein klares Commitment für ein gemeinsames Vorgehens sicherzustellen, war in Deutschland ein Formblatt unerlässlich. Erst mit der Erkenntnis, dass es hier letztlich nur um ein simples Wording geht, konnten die typischen Grundhaltungen („Mein Problem war aber anders.“ „Ich mache das schon immer so.“ „Und außerdem habe ich Wichtigeres zu tun.“ etc.) verändert werden. Also noch einmal: Kommunikation kann nur erfolgreich sein, wenn sie sich an den Empfängern ausrichtet.
Fallbeispiel: Projektteam
Das mag ebenso eine Binsenweisheit sein, wie die oft gehörte Forderung, man möge die Betroffenen zu Beteiligten machen. Wozu nur eines zu sagen ist: Wenn sich alle an derlei Binsenweisheiten hielten, dann müsste man nicht so häufig an sie erinnern. Was die unmittelbar „Beteiligten“ in dem vorliegenden Fall angeht – die 150 Ingenieure –, so kam es darauf an, ein interdisziplinäres und überregionales Projektteam zusammenzustellen. Dabei ist es regelmäßig erforderlich, keine „Entsandten“ ferner Hierarchen zu akzeptieren, die keine Entscheidung in ihren jeweiligen Fachgebieten zu Hause durchsetzen können. Des Weiteren sollten dem Change-Team auch keine Manager angehören, sondern vorrangig die heimlichen Meinungsführer.
In fast jedem Veränderungsprozess gibt es immer zehn Prozent Optimisten, die sehr schnell die positiven Effekte einer Veränderung erkennen. Daneben gibt es fast die gleiche Anzahl Verharrer, die Veränderungen äußerst kritisch gegenüberstehen. In der Mitte befindet sich die große Masse, der Unentschlossenen. Um ein Projekt erfolgreich zu machen, ist eine kritische Masse von über 50 Prozent der Mitarbeiter notwendig. Daher hängt der Erfolg sehr stark von der Einbindung der heimlichen Meinungsführer ab. Es ist essentiell, sie von Projektbeginn an in die Erarbeitung der bestmöglichen Lösung einzubinden. Das kostet gegebenenfalls mehr Zeit, ist aber deutlich nachhaltiger und sichert den Erfolg.
Es gibt kein Projektteam, in dem nicht irgendwann Probleme auftreten, „Issues“ zu besprechen sind. Probleme müssen von den Projekt-Verantwortlichen im kleinen (!) Kreis gelöst werden. Ansonsten diffundieren sie allmählich in die Fläche, wo sie auf mehr oder weniger ratlose Mitarbeiter treffen. Wenn sich dann in letzter Konsequenz der Chef vorne hinstellt und sagt: „Wir machen das jetzt so!“ – kann man mit ziemlicher Gewissheit vorhersagen, dass es so eben nicht passieren wird, da der Vorgesetzte häufig nicht der beste Fachmann für ein bestimmtes Detailproblem ist. „Issues“ müssen die Verantwortlichen am Runden Tisch besprechen – und sie müssen eine Entscheidung treffen.
Fallbeispiel: Projekt-Controlling
Ein Projekt ohne Controlling ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Allerdings haben die Projektleiter im täglichen Geschäft oft kaum Zeit, sich durch zig Seiten Projektbe-schreibung hindurchzuarbeiten. Daher ist eine kompakte Übersicht mit Projektbeschreibung, wesentlichen Projektdaten, einem Gant-Chart, den Key Project Indicators, dem Cash-flow etc. erforderlich. „Kompakt“ heisst hier: eine Seite! Eine Projektübersicht, die nicht auf eine Seite passt, ist keine Übersicht.
Die Projektübersicht muss „leben“ und tatsächlich für die Steuerung eingesetzt werden. Am Anfang liefert sie Zahlen für beispielsweise das Budget, die Ausgangsgrößen, später folgt ein First Estimate, eine Revised Version usw. Im Laufe des Projekts gehen die Kosten meist nach oben, der Umsatz nach unten – das Übliche –, und der Profit verschwindet unterwegs. Um den wirtschaftlichen Erfolg im Auge zu behalten, sind bestimmte Kenngrößen wichtig (s. Grafik): beispielsweise „Payback in Years“ (x-Achse) und „Net Present Value“ (NPV) bezogen auf die „Cost to Complete“ (CtC; y-Achse). Ganz simpel: Diese Betrachtung drückt aus, wann das investierte Kapital zurückfließt. (NPV ist nichts anderes als die diskontierte Zahlung aus zukünftigen Erfolgen auf den Zeitpunkt der ersten Einnahme. Cost to Complete beantwortet die Frage, wie viele Stunden noch gebraucht wer-den, um das Projekt fertigzustellen.) Nach dem Start eines Projekts geht in der Regel die Kennzahl NPV/CtC nach oben, sie wird immer besser. Das heißt: Je dichter Produkte vor der Marktreife stehen, desto eher bekommt man sein Geld zurück. Treten im Laufe des Projekts Störungen auf, geht die Entwicklung nach links (s. Grafik). Ergebnis: Der „Payback in Years“ verlängert sich. Der Projektmanager kann mit Hilfe solcher Kennzahlen schnell erkennen, was richtig und was falsch läuft und ob Handlungsbedarf besteht.
Fallbeispiel: Ergebnis
Wirkungsvolle Kommunikation, ein optimal zusammengesetztes Projektteam und ein Projekt-Controlling, das seinen Namen verdient, führten nach einem Jahr dazu, dass das Projekt weltweit bei den 150 Ingenieuren implementiert war. Der neue Prozess hatte die gesamte Organisation verändert. 95 Prozent der F&E-Projekte waren im Zeitplan. Die Anzahl der Entwicklungsprojekte lag sechseinhalb Mal so hoch wie zuvor und der Umsatz der neuen Produkte bei rund 9 Millionen Euro. Viel wichtiger als diese „hard facts“: Die Motivation der Belegschaft war in allen Regionen und Unternehmensbereichen deutlich höher – feststellbar durch initiative Äußerungen und das Verhalten zahlreicher Beschäftigter, nicht durch formalisierte Umfragen. Das Management schließlich erhielt Anerkennung für das „Empowerment“ der Mitarbeiter. Soweit das Fallbeispiel.
Conclusio
Wenn man als Conclusio Verantwortlichen für Veränderungsprojekte einige einfache Regeln an die Hand geben sollte, die sich in der Praxis vielfach bewährt haben, dann wären es diese:
- Die Bedeutung interner Kommunikation können Sie gar nicht überschätzen. Kommunikation ist absoluter Schlüsselfaktor!
- Halten Sie die Dinge so einfach, wie nur irgend möglich. Komplexität ist Sand im Getriebe.
- Halten Sie gleichzeitig den Prozess so schlank wie möglich und entrümpeln Sie ihn, falls das erforderlich ist. Werfen Sie alles raus, was „nice to have“ ist. Kümmern Sie sich nur um „need to have“.
- Perfektion ist zwar grundsätzlich schön, hier aber fehl am Platze. Lieber 80 Prozent kurzfristig, als 100 Prozent in zwei Jahren.
- Vergessen Sie nicht: Change-Management liegt in der Verantwortung des Top-Managements. Es muss vorleben, was es von den Mitarbeitern erwartet. Also: Keine Sonderrolle, kein abweichendes Verhalten! Das Management ist der „erste Assistent“ des neuen Prozesses.
- Und schließlich: Ermächtigen Sie Ihre Mitarbeiter!