Egal welche Zeitung man aufschlägt: Innovation ist ein Thema. Und zwar nicht nur in den dafür vielleicht einschlägigen Fachtiteln, sondern in der ganz normalen Wirtschaftspresse. Warum befassen sich Nicht-Techniker mit Innovationen? Weil dort das Geld liegt, der Umsatz von morgen.
Mit Blick darauf ist es zumindest eine amüsante Randbetrachtung, wie sehr in Sachen Innovation schon geirrt wurde. Hier einige – zum Teil bekannte – Beispiele aus der Vergan-genheit:
- „I believe that the market for computer worldwide is approximately 5 units.“ Thomas J. Watson, IBM Chairman, 1943
- „There is no reason for anybody to have a computer at home.“ Ken Olsen, President DEC, 1968
- „Busses will disappear within our cities latest in 1990.“ Battle Institute, 1965
- „I believe in horses. The automobile is only a temporary apparition.“ Kaiser Wilhelm II
- „There will be maximum 5000 automobiles due to the lack of chauffeurs.“ Gottlieb Daimler
- „Everything that can be invented has been invented.“ Charles H. Duell, US Patent Office, 1899
Innovation: evolutionär oder revolutionär, vor allem aber die „richtige”
Mit dem Wissen von heute sind das schon amüsante Einschätzungen. Was nun ist eigentlich Innovation? In der Regel verstehen wir unter Innovationen neue, effizientere Produkte. Sie beruhen auf bestimmten Ideen, die entweder evolutionär oder revolutionär
sind. Dass es nicht immer die bahnbrechende Neuigkeit sein muss, um mit Innovation Geld zu verdienen, zeigt das Beispiel Starbucks: Starbucks hat im Frühjahr 2009 einen Instantkaffee auf den Markt gebracht („Via“). Grundsätzlich keine Neuigkeit, da löslicher Kaffee industriell seit 1938 hergestellt wird. Davon abgesehen aber keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass Instantkaffee 2009 rund 40 Prozent des gesamten Kaffeeabsatzes weltweit ausmachte, ein 17-Milliarden-Dollar-Markt. Die Ausgangslage war, dass beispielsweise in Großbritannien mehr als 80 Prozent des verkauften Kaffees „instant“ war, dagegen aber nur 10 Prozent in den USA. Mit einer Rezeptur, an der das Unternehmen 20 Jahre gearbeitet hatte, gelang es Starbucks, mehr und mehr Kunden zu überzeugen. Inzwischen ist „Via“ eine wichtige Ertragssäule in der Ergebnisrechnung von Starbucks.
Es muss also nicht immer der große Wurf sein, oftmals sind es die „kleineren“ Ideen, die wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Und von denen gibt es potentiell recht viele. Laut Wirtschaftsinformationsdienst Bisnode Deutschland (früher D&B) gibt es weltweit circa 160 Millionen Unternehmen (2010). Nehmen wir einmal an, es bleiben davon 50 Millionen übrig, wenn Doppeleinträge berücksichtigt und solche Unternehmen abgezogen werden, die nicht wirklich innovativ zu nennen sind. Gehen wir hypothetisch weiter davon aus, dass diese 50 Millionen Firmen jeweils vielleicht zehn neue vermarktungsfähige Ideen pro Jahr haben. Das wären in toto circa 500 Millionen Innovationen pro Jahr.
Angesichts dieser schieren Menge fragt sich, welches die „richtigen“ Innovationen sind, die, die ein Unternehmen voranbringen, die den Umsatz von morgen ausmachen können. Wikipedia schreibt:
“Innovation is the application of better solutions that meet new requirements, inarticulated needs, or existing market needs. This is accomplished through more effective products, processes, services, technologies, or ideas (…). The term innovation can be defined as something original and, as consequence, new that ‘breaks in to’ the market or into society.”
Die „richtigen“ Innovationen sind also zunächst einmal die, die als „Solutions for Needs“ daherkommen. Bedürfnisse, Wünsche, Anforderungen stehen am Anfang; neue Produkte, Technologien usw. kommen erst im Laufe des Innovationsprozesses hinzu. Innovation ist keinesfalls immer nur „Technik“, nicht nur „Forschung und Entwicklung“ oder Ressourcen. Der Medienkonzern Thomson Reuters hat in einem Video am Beispiel der Entwicklung eines Medikaments dokumentiert [siehe meinen Artikel „Innovation Lifecycle: Erst Vernetzung führt zum Erfolg“], dass Innovation mehr ist, als dass ein Forscher im stillen Kämmerlein vor sich hindenkt und irgendwann mit einer Idee kommt. Es müssen viele Funktionen zahnradartig ineinander greifen, damit Innovationen entstehen können.
Die Entstehung von Innovationen
Wie bekommt man nun diesen Innovationen? Betrachten wir als Beispiel ein Glas Wasser und fragen, wie wir es leeren können, ohne es zu berühren. Vordergründig kommt man vielleicht auf drei, vier Lösungen. Mit Hilfe von Abstraktionsmethoden, wie etwa TRIZ/TIPS (Theory of Inventive Problem Solving), kommt man aber auf viel mehr Möglichkeiten, um Flüssigkeiten zu bewegen. So lässt sich ein Glas Wasser auf 45 verschiedene Arten leeren, ohne es zu berühren. Die Abstraktion des Problems lässt neue Betrachtungsweisen zu und eröffnet so den Zugang zu neuen Lösungen. Vor allem verlässt man die bisherigen gedanklichen Trampelpfade!
Verlassen wir die Theorie und sehen uns ein konkretes Beispiel: der Kältekompressor. Dabei handelt es sich um einen klassischen Druckbehälter – entweder in Form einer Kugel oder eines Zylinders, die Baukörper entweder gegossen oder geschweißt. Diesem Bauprinzip folgt die Kompressorenherstellung seit rund 150 Jahren. Will man die Herstellung von Kompressoren optimieren und dabei gleichzeitig die bisherige Funktionalität erhalten, stellt sich die Frage: Muss der Kompressor rund sein? Die Antwort: Nein, muss er nicht. Es gibt durchaus die Möglichkeit, den Baukörper als Oktaeder zu formen. Die erforderlichen Teile müssen dann nicht mehr aufwendig rund geformt, sondern können gestanzt werden. Damit werden das Handling und der Produktionsprozess einfacher – und die Qualität höher. Vorteil: Das Working Capital sinkt, der Hersteller wird profitabler, er kann anders anbieten, bekommt andere Stückzahlen. So können Märkte besetzt werden, die vorher verschlossen waren.
Mit dem als Oktaeder geformtem Kompressor entstand die erste signifikante Innovation auf dem Gebiet der Kolbenkompressoren seit 30 Jahren. Nachdem viele schon annahmen, dass sie aussterben würden, dokumentierte die Entwicklung die Innovationsfähigkeit des Produzenten GEA Refrigeration Technologies. Das Unternehmen galt forthin als eines der innovativsten seiner Branche. Ausgangspunkt war die relativ einfache Frage, ob ein Kompressor rund sein muss.
Es geht also darum, mit Hilfe des vielzitierten „Outside of the box“-Denkens die richtigen Fragen zu stellen – und von der vorgefundenen Lösung zu abstrahieren (Was wäre wenn…? Könnte man nicht auch…? Etc.).
Kriterien für den Innovationserfolg
Wenn Innovationen so wichtig sind, dann möchte natürlich jeder wissen, was sie treibt. In einer Studie hat das Institut für Technologie- und Prozessmanagement der Universität Ulm herausgefunden, dass Ressourcen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung sind, um Produkt- oder Prozess-Innovationen voranzutreiben (siehe hierzu meine Artikel „Technologische Kompetenz“ Teil 1 und Teil 2). Lassen Unternehmen wissen, sie investierten drei oder fünf Prozent ihres Umsatzes in Forschung & Entwicklung, dann ist das schön zu hören. Erfolg lässt sich daraus gleichwohl nicht ableiten (siehe hierzu meinen Artikel „Innovationserfolg, F&E-Budgets und die Nutzung digitaler Werkzeuge“ zur Studie „Global Innovation 1000“ von strategy&, früher Booz & Company, die das bestätigt).
Die Ulm-Studie hat gezeigt, dass es zwischen dem Ressourceneinsatz und Innovationserfolg keine direkte Korrelation gibt. Natürlich lässt sich daraus nicht folgern, man könne nun alle F&E-Etats kürzen. Das wäre falsch. Auf das Kompetenz-Bündel kommt es an – professionelles Management sowie eine innovationsfreundliche Unternehmens- und Lernkultur geben den Ausschlag für hohe Innovationsleistung bei Produkten und Prozessen. Ein systematisches Ideen- und Wissensmanagement unterstützt die Managementkompetenzen in den produktions- und entwicklungsbezogenen Prozessen.

Innovationsgrad und Innovationshäufigkeit je Branche (Quelle: Universität Ulm, Institut für Technologie- und Prozessmanagement)
Betrachtet man den Innovationsgrad und die Innovationshäufigkeit nach Branchen, so fällt auf, dass
- der Marktinnovationsgrad (beschreibt wie stark das Neuprodukt eines Unternehmens von den existierenden Angeboten im Markt abweicht) in der Regel höher ist als der unternehmensbezogene Innovationsgrad (beschreibt den Neuheitsgrad der Innovation für die Organisation und damit das Ausmaß der Anpassung der internen Prozesse);
- Prozessinnovationshäufigkeit (beschreibt die Regelmäßigkeit und das Ausmaß der Erneuerung interner Prozesse) höher eingeschätzt wird als die Produktinnovations-häufigkeit (beschreibt die Regelmäßigkeit und das Ausmaß an neuen, kommerzialisierten Produkten).

Innovationsgrad und Innovationshäufigkeit nach Benchmark (Quelle: Universität Ulm, Institut für Technologie- und Prozessmanagement)
Die Untersuchung von Innovationsgrad und Innovationshäufigkeit nach Benchmark zeigt, dass die Benchmark-Gruppe in höherem Ausmaß innoviert und vor allem deutlich häufiger als die Nachzügler (dieses Ergebnis gilt für Großunternehmen und in ähnlicher Weise auch für KMU).

Technologische Kompetenz KMU vs. Großunternehmen (Quelle: Universität Ulm, Institut für Technologie- und Prozessmanagement)
Vergleicht man die technologische Kompetenz von kleineren und mittelgroßen Unternehmen mit der von Großunternehmen, so zeigt sich, dass die Benchmark-Gruppe bei den KMU zwar beim Know-how-Management oder beim Produktions- und Technologiemanagement hinter der Benchmark-Gruppe der Großunternehmen zurückliegt – aber über eine innovationsfreundlichere Unternehmens- und Lernkultur verfügt. Nicht selten handelt es sich um die sogenannten „Hidden Champions“, die kulturelle Vorteile ausspielen, indem sie nicht zuletzt schnell sind. Es sind nicht die riesigen F&E-Budgets, die ihren Innovationserfolg sichern, sondern Experimentierfreudigkeit, die Vorbildfunktion der Unternehmensleitung, Risikobereitschaft von Entscheidern, systematische Fehlerdokumentation, bereichsübergreifende Kommunikation und die Nutzung von Synergien zwischen Fachbereichen.
Conclusio
Untersuchungen zeigen: Innovation ist mehr als F&E. Große Ressourcen allein garantieren keinen Erfolg auf dem Weg zu Produkt- oder Prozessinnovationen.
Vielmehr sind alle Funktionen im Unternehmen, die in Kontakt kommen mit (a) internen Anforderungen (jeder ist ja irgendwo Kunde oder Lieferant) oder (b) Bedürfnissen und Möglichkeiten im externen Umfeld, die potentiellen Scouts für die nächste Innovation. Denn „der Markt“ kann schlecht gefragt werden, was er haben möchte. Kaum jemand hätte vor ein paar Jahren gesagt: Ich brauche demnächst ein iPhone. Man muss sich die Probleme und Anforderungen in anderen Bereichen (intern wie extern) ansehen – und ihre Lösung studieren. Danach ist die Frage zu stellen, ob diese Lösung auch für das eigene Problem hilfreich ist. Darauf zu hoffen, dieselbe Lösung zufällig intern selbst zu entdecken, ist dagegen unrealistisch.